Samstag, 17. September 2011

Rilkes Requiem für Paula

Eine kleine Gruppe Theatergäste steht in Grüppchen auf den mit Kerzen und Teelichtern beleuchteten Rasen. Wenige Schritte entfernt steht die aus Lehm errichtete Hütte mit tanzenden Fenstern geschützt unter Baumkronen. An der Kasse wurden wir aufgefordert zu warten bis alle gemeinsam eingelassen würden. Es ist noch Zeit für ein Glas Wein und um in den ausgelegten Büchern zu blättern. Wer auf dem Barkenhoff Worpswede zum Theater kommt sollte sich die kurzen Augenblicke der Einstimmung gönnen. Es lohnt sich. Denn die Cosmos Factory Theaterproduktion von Oliver Peuker und Ute Falkenstein läd zu einem Erlebnis ein, einem theatralen Erlebnis Geschichten intensiver zu erfahren.
Nun werden wir herein gebeten. Wir treten einzeln ein, größer ist die Tür nicht. Schon an der Tür empfängt uns ein Duft, ist es Weihrauch? Der Raum ist dunkel, nur auf der Spielfläche ist Beleuchtung, gerade hell genug um seinen Platz zu finden. Die Stimmung ist damit klar: Andacht, Rückschau, Einkehr und Gedenken an Vergangenes. Die Aufführung wird 40 Minuten dauern. Oliver Peuker, als Rainer Maria Rilke verkleidet, sitzt mit dem Rücken zu uns in einem Lehnstuhl und zupft versonnen an einem Saiteninstrument. Es klingt japanisch. Nachdem alle sitzen und Stille einkehrt, die Klänge in einer fernen Melodie enden, beginnt er zu sprechen. „Ich habe Tote“. Lang sitzt er dort und spricht von uns fort. Dann kommt der Moment das er sich erhebt. Er geht ein paar Schritte, zündet eine Kerze an, und noch eine. Während Peuker im Text voran kommt führt er eine Reihe symbolischer Handlungen aus. Diese sind besser zu verstehen wenn man das Requiem vorher gelesen hat und nachempfinden konnte. Der Sprachduktus ist ein ehr kräftiger, den man dem kränkelnden Rilke kaum zugetraut hätte. Wo findet all dies statt? Der Raum, die Handlung und die symbolischen Momente deuten wohl einen geistigen Raum an. In diesem Raum hat sinnliche Erfahrung eine untergeordnete Bedeutung. Das erlaubt den Betrachter eine distanzierte Betrachtung. Einem Requiem angemessen gibt es keine großen Schwankungen im Rhythmus. Man wird nicht mitgerissen, sondern man muss schon ein gehobenes Interesse mitbringen um diese Form des anspruchsvollen Theaters zu verstehen. Das ist sicherlich einem Poeten wie Rilke angemessen. Es wird Respekt vor der großen Kunst, dem großen Werk Rilkes eingefordert.
Dann ist es vorüber. Peuker alias Rilke geht ab, hinaus in den Garten durch die Tür durch die wir eintraten. Eine weitere Symbolik? Es herscht einen Moment Verwirrung. Ist das Stück schon vorbei? 40 Minuten können so kurz sein wenn man sie intensiv erlebt. nach einem gebührenden Applaus bleibt etwas wie Beklemmung zurück. Niemand wagt aufzustehen. Man spürt etwas besonderem beigewohnt zu haben, kann es aber noch nicht einordnen. Vor mir sitzen zwei Damen die im Gebet versunken scheinen, ein andere ist den Tränen nahe, wiederum ein anderer konnte offensichtlich nichts mit all dem anfangen und aus den hinteren Reihen kommt ein Kommentar: „Es traut sich keiner aufzustehen.“
Bis zum 25. September Fr., Sa. und So. jeweils 19:00, 20:00 und 21:00 gibt es noch neun Möglichkeiten dem Requiem einen Besuch abzustatten. Ich empfehle sich vorher inhaltlich zu informieren, und die Bereitschaft zu geben von einem Spiel konfrontiert zu werden welches Eigeninitiative verlangt.

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